Archiv

Ausstellungen

Verein zur Förderung von Kunst und Kultur 

am Rosa-Luxemburg-Platz

Kunsthalle Düsseldorf (Auszüge)


Katalog beim KRAUTin kaufen

Depot, Archiv, Museum – Orte an denen Erinnerung traditionell abgelagert werden, sind längst nicht nur Metaphern sondern konkrete Formen zeitgenössischer Kunst geworden. Bei Martin Zellerhoffs 63teiliger Serie Archiv handelt es sich um die Abbildung einer eben solchen Sammlung, angelegt als Arbeitsmaterial und private Gedächtnisstütze einer Kunsthistorikerin.

Zellerhoff fotografierte die Dia-Sichtkassetten aus transparentem Kunststoff auf einem Leuchttisch, auf dem man im Zeitalter der analogen Fotografie Dias und Negative mit der Lupe betrachtete und sortierte. (1)

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Archiv im Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz e.Ve, Berlin, Nov 2019/Jan 2020

Der Blick bleibt an den leeren Kästchen ohne Dias hängen, Abweichungen im Raster. Die lichtdurchstrahlten Leerstellen bilden geometrische Muster, die an riesige schematische Pixel erinnern, ähnlich dem 1984 entwickelten Computerspielklassiker Tetris. (2) 

Der leicht desolate Zustand des Konvoluts scheint jene Bildtheorien, die den Untergang dieses Mediums vorhergesagt hatten, zu bestätigen.


Zellerhoff, dessen Praxis sich seit langem mit Konventionen der Bildproduktion und -präsentation befasst, reflektiert in Archiv den parallelen Prozess des Verschwindens von Motiv und Medium aus der Doppelrolle des Mannes hinter der Kamera und Bildredakteurs seine eigenen Ausstellungen heraus. 



In der Gesamtheit der Präsentation im Raum und Re-Präsention im Katalog sind die eigenen Fotos nur ein Teil der persönlichen 

Arbeit. 

Er zeigt im Grunde fremde Bildkombinationen und stülpt ihnen ein eigenes Hyperimage über. Eindeutig kann es nicht sein: Hier ist das Medium die Botschaft. Ein Medium, das strikt referenziell arbeitet. 


Der Fotograf als Mann mit dem richtigen Standpunkt hat sich verabschiedet. Solche Kunst speist sich aus der Überzeugung, dass Geschichte und Konventionen der Fotografie, ja der Apparat selbst dem Betrachter genug zu erzählen haben. 


Zellerhoffs Bilder sehen daher oft geradezu einfach – quasi ‚unkünstlerisch’ –  aus, stecken aber voller Informationen, Andeutungen und Hinweisen.(1)


Die Dias sind gelegentlich rötlich verblasst, andere schwarzweiss, die farbechten wurden auf besonderem Kodachrome-Film ausbelichtet. Einige aus dem Rahmen gefallen und überlagern die darunterliegenden, so dass sich schwarze Flächen bilden und die Bilder auslöschen.


Die unterschiedlichen Beschriftungen setzen automatisch den detektivischen Blick in Gang – vermutlich hat die Kunsthistorikerin auf vielen Reisen Museen, Bibliotheken und Kirchen besucht, um alle diese Repros und Dups zu sammeln, möglicherweise hat sie einige selbst fotografiert und beschriftet.(2) 


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Martin Zellerhoff

Archiv

Mit Texten von Susanne Prinz, Julia Wirxel und Christina Zück


KRAUTin Verlag

176 Seiten

30 EUR

Betrachtungen des Vergleichenden Sehens

Julia Wirxel über Spuren in den Fotografien von Martin Zellerhoff

(aus: Archiv, S 21)

Martin Zellerhoff beschäftigt sich in seiner Kunst mit Apparaten, Techniken, Vorrichtungen und Veränderungen von Fotografie. Er fotografiert die Filmherstellung bei The impossibel Project, heute Polaroid (2010), die Objektivherstellung bei Carl Zeiss (2011), in einer Fotopapierfabrik (2011), eine Agfamatic mit abblitzendem Blitzwürfel (2009), einen Kodachrome Kleinbildfilm (2009), einen Farb- und einen Graustufenkeil (2013/14), einen Polaroid Processor (2013), Filmentwicklungsrahmen (2012) und gibt Einblicke in Fotolabore (2013).

Serielle Strenge

All diese Gegenstände und Apparaturen sind Hilfsmittel für ein mögliches Gelingen von Fotografie. Ohne sie und ihre fortschreitenden Entwicklungen würden wir Martin Zellerhoffs Fotos nicht sehen können.  Die meisten dieser Dinge werden heute kaum noch produziert und sind in den letzten Jahren durch digitale Prozesse ersetzt worden. Daran ist zu erkennen, wie Martin Zellerhoff den Blick zurück und in die Gegenwart richtet: Es-ist-so-gewesen und so-ist-es-gerade-noch existent. Wenn sich ein Künstler dieser Aufmerksamkeit auf „seine“ Medien verschreibt und Bilder von bildgebenden Gegenständen erstellt, ist es nicht verwunderlich, dass er eine Diathek einer Kunsthistorikerin vor der Entsorgung rettet und sie für „uns“ fotografiert. Dies tut er mit einer seriellen, „objektiven“ Strenge: 104 Diamagazine sind ihm überlassen worden. So wie sie in dem geschickten Paketen verpackt waren, fotografierte er sie von Diamagazin 1 bis 104. 

Verbreitungsmittel der Wahrnehmung

Neben der Vermittlung für die Betrachter*innen über die geprinteten Abzüge (Motiv: 34×43 cm) ist das Buch, der Ausstellungskatalog, das Hauptmittel der Verbreitung von künstlerischen Fotografien – abgesehen vom Internet, das oftmals nur als unzureichend in der Betrachtung von Fotos, wenn man von digital hochaufgelösten Bildern absieht, angesehen(!) werden kann. Mit seiner Arbeitsweise taucht Martin Zellerhoff in das Wesen des Sehens, der Wahrnehmung, der Tradition und der Überraschung von Fotografie ein. Ebenso können seine Arbeiten zur Thematik der Rematerialisierung des Objekts, der Fotografie gezählt werden – als Fortführung der Konzeptkunst der 1960-er und 1970-er Jahre, unter anderem Vorzeichen. Es gibt originale Kunstwerke in aller Welt, die fotografiert werden, um anhand von Katalogen, Kunstzeitschriften, Postkarten, Plakaten und Dias (zuerst auf Glas, dann auf Film) verbreitet zu werden. 

Verfielfältigung der Wahrnehmungsmöglichkeiten 

Die fotografische Reproduktion steuert dadurch unsere Wahrnehmung eines Kunstwerks. (Wie anders kann ein Original wirken, wenn man es nach Jahren der Betrachtung auf z.B. Dias oder Postkarten, an seinem Ort im Museum zum ersten Mal sieht?) Ein analoges Bildarchiv wurde und wird auf diese Weise geschaffen, das leicht zugänglich ist, vervielfältigt werden kann, das Kunstwerk handhabbar macht. Man kann das Kunstwerk einstecken, aufhängen, in einem Diamagazin archivieren. Über diese Reproduktionen können bisher unbekannte Werke kennengelernt, aber auch gesehene Originale erinnert werden. Kunstliebhaber*innen, Künstler*innen und Kunsthistoriker*innen konnten die Kunstwerke in reproduzierter, verkleinerter Form aufheben. Diese physischen, analogen Formen werden aktuell mehr und mehr zu virtuellen, digitalen. Gerade Kunsthistoriker*innen sind „gezwungen“ und intrinisch motiviert sich ein großes Bildarchiv von „Ersatzbildern“ anzuschaffen und können auf diese Weise einer Sammelleidenschaft fröhnen, die mit den Originalen selbstverständlich nicht möglich wäre.

Fotografieren und weitergeben

Aufräumexpert*innen schlagen vor, einen Gegenstand zu fotografieren, den man lieb gewonnen hat, der aber persönlich nicht mehr nützlich und zu gebrauchen ist, um ihn danach weiterzugeben oder zu entsorgen. Indem Martin Zellerhoff pro Diamagazin für seine Serie Archiv ein Foto macht, bewahrt er die einzelnen Dias in ihren jeweiligen Diamagazinen und gleichzeitig die abgebildeten Kunstwerke (für uns) vor dem Vergessen, dem Verlust, der schmerzlichen Trennung – wenn man möchte – und erfüllt eine institutionelle, museale Aufgabe, nämlich die, Kunstwerke (anhand ihrer Reproduktionen) zu bewahren und zu archivieren.

Der Literaturwissenschaftler und Philosoph Bernd Stiegler beobachtet, dass „die Fotografie der Gegenwart […] als Medium wahrgenommen [wird], das nicht nur theoriefähig ist, sondern nachgerade eine eigene Theorie erforderlich macht, ja sogar implizit entwickelt“. Vor einigen Jahrzehnten musste man zwischen der Unterscheidung von Fotografie als Technik, wissenschaftliches Verfahren oder als Kunst wählen. Der Diskurs des 19. Jahrhunderts sedimentierte sich noch stark im 20. Jahrhundert. Heute müssen beim Denken über Fotografie gleichzeitig Legitimierungen beispielsweise von Kommunikationsstrategien und -strukturen bei der Verwendung von Kunstreproduktionen in den Blick genommen werden. 

Verschränkung von analoger und digitaler Ebene

Kunstwerke entstehen, werden analog fotografiert, als Dias reproduziert, in Diamagazinen archiviert, für kunsthistorische Diavorträge genutzt, sollen ausgemustert werden, werden von Martin Zellerhoff digital in ihrem originären Diamagazin fotografiert. Einige der Diamagazinfotos werden gedruckt und wieder in eine haptische, analoge Ordnung überführt und damit selbst als Fotografien zu Kunstwerken. Sie werden in einem Ausstellungskontext gezeigt, um nach ihrem Verkauf Teil einer (musealen) Sammlung zu werden, werden dann wieder digital fotografiert und ins digitale Archiv des Museumsinventars aufgenommen. Es entsteht eine ungeheure Potenz der spielerischen, jedoch klaren Verschränkung der analogen wie digitalen Ebenen von Kunstwerk(en) und Fotografie(n): Appropriation Art und Konzeptkunst im Jahr 2019. Aus diesem Grund pflichte ich der Überzeugung bei, dass „Photography matters as never before, weil die Fotografie […] dasjenige Medium ist, das die Verschiebungen der Wahrnehmungen in den letzten zwei Jahrhunderten am eindrücklichsten in Bilder und somit Anschauungen gebracht hat.“ Es eröffnet sich ein multipotenter Blick auf, mit und durch die Fotografie, bei Martin Zellerhoff weit entfernt von der Diskussion des dubitativen Bildes, das einen Strang zur Digitalisierung der Fotografie beherrscht.

Gemeinsamer Maßstab

Der Medienwissenschaftler Peter Lunenfeld weist mit dem Kunsthistoriker Donald Preziosi darauf hin, dass das Diapositiv im 19. Jahrhundert nicht nur äußerst bedeutsam für die Archivierungspraktiken war, also „umfassende Sammlungen im Bereich des Bildes ermöglichte, sondern auch ‚alle Analysegegenstände auf einen gemeinsamen Maßstab und einen gemeinsamen Rahmen‘ reduziert, ‚um sie vergleichen und kontrastieren zu können.‘“ Lunenfeld kommt zu dem Schluss, dass das Medium der Fotografie die akademische Disziplin Kunstgeschichte erst möglich gemacht hat. Das Format des Dias vereinheitlicht Größen, Epochen, Stile, gar Materialien. Der Kunsthistoriker/die Kunsthistorikerin kann zwischen den Epochen und Gattungen hin- und herspringen: Duchamps Flaschentrockner (Archiv 078) könnte einer Performance einer Kunststudentin, einer Abbildung zur amerikanischen Landart oder einem Flügelaltar folgen. Als einer der ersten Kunsthistoriker hat Heinrich Wölfflin zwei Diaprojektoren nebeneinander gestellt und zwei Dias, d.h. zwei Kunstwerke, gleichzeitig gezeigt: das Format des vergleichenden Sehens, Grundlage aller kunsthistorischen Einführungsseminare, war geboren.

Simulierte Authentizität

Das Diamagazin selbst, der Ort der Archivierung der Dias, wird bei Martin Zellerhoff fast zum punktum. Völlig unbeabsichtigt und nicht auf ästhetische „Maßstäbe“ achtend, kleben neongelbe Preisschilder von 1000 Töpfe mit ihren D-Mark-Auspreisungen auf den Diamagazinen. Wenn wir nun seriell geschult, von den Vergleichenden Seminaren geprägt sind, untersuchen wir innerhalb der Serie, der Prints (oder der Abbildungen im Ausstellungskatalog) die unterschiedliche Beschaffenheit und Verwendung/Nutzung der einzelnen Magazine. Außerdem fällt der Blick ebenfalls auf die diversen Diarahmen und die mehr und weniger verfärbten Diafilme selbst, mit ihren Kunstwerken. Geeignet die Herangehensweise Martin Zellerhoffs in seiner digitalen fotografischen Praxis zu beschreiben, sind die Thesen des Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich. Auch Zellerhoff geht in seiner Serie Archiv digital vor, zitiert und simuliert aber mit ihr die Authentizität der analogen Fotografie. Mit dieser fotografischen Herangehensweise ist nach Ullrich ein neuer Bildtypus entstanden, der eine neue Art der Rezeption digitaler Fotografie verlangt. Die Manipulierbarkeit der Bilder ist bewusst, aber dies führt nicht dazu, dass die Bilder keine Glaubwürdigkeit mehr erlangen. 

Digitaler Nominalismus

„Demnach steht es dem Betrachter frei, auch solche Bilder unter dem Zeichen des Authentischen zu sehen, die den Schein des Analogen lediglich zitieren.“ Dies nennt Ulrich „digitalen Nominalismus“. Das Konstruierte von digitalen Bildern wird mitgedacht, trotzdem wird aber an ihrer Authentizität festgehalten. In der Auslotung verschiedener Realitätsstufen, von real zu möglich, können neue Bildtypen entstehen – so wie es bei Zellerhoff der Fall ist. Der Kunsthistoriker Beat Wyss spricht in der Analyse der Gegenwart zu analogen und digitalen Bildern davon, dass das indexikalische Bild unter dem Eindruck der Digitalisierung rückwirkend auratisch aufgeladen wird. Der indexikalische Charakter soll unter der Obhut der Kunstgeschichte bewahrt bleiben. Interessanterweise verwebt Martin Zellerhoff genau diese Ebenen, die der auratischen, analogen Bilder, der analog fotografierten Werke der Kunstgeschichte, mit jener Möglichkeit des Digitalen, die er dafür nutzt. So würde die „Spur einer Wahrheit“ (die Spur des Lichts), die Indexikalität mit in seine eigenen digitalen Kunstwerke mit hineinfließen.

Martin Zellerhoff ist ein Künstler, der nicht als Schöpfer, sondern als „Operator“ und Vermittler auftritt. Dies lässt sich gerade in Hinblick auf die Medienspezifität seiner Arbeitsweise, in der er die Medien und Techniken, ihre jeweilige Veränderung und ihr Verschwinden in den fotografischen Blick nimmt, belegen.Es ergibt sich eine Verschiebung weg vom Produzieren zum Formatieren und Verbreiten, die für die Gegenwart symptomatisch ist. 


(1) Susanne Prinz, „Strukturelle Amnesie“, Archiv, S. 7 ff.

(2) Christina Zück, „Tausend Töpfe“, Archiv, S. 10 ff

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