Ausstellung „liquid landscape“

„liquid landscape„
13.2. – 21.2.2025 Lobe Art im Lobe Block
Eröffnung Mittwoch, 12.2., 18 bis 22 Uhr
Finissage Freitag, 21.2., 17 bis 20 Uhr
Di. bis So. 10-17 Uhr
Eine Ausstellung, kuratiert von Julia Wirxel & unterstützt von Drawing Room
Mit: Marie Aly, Helene Appel, Mathias Deutsch, Gudny Gudmundsdottír, Almut Hilf, Johanna Jaeger, Sven Johne, Katharina Kiebacher, Paula Oltmann, Anke Völk, Martin Zellerhoff
„Ich spürte eine Verstärkung und Verfälschung der Sinne, sonderbar, aber durchaus lustvoll, als erlebte ich die Pflanzen- und Tierwelt um mich herum in einem gesteigerten und intensiveren Maße. Als erlebte ich sie nicht nur, sondern als wäre ich ein Teil von ihr. Ich tauchte so in sie ein, dass ich das Wispern jeder krabbelnden Ameise oder das Rascheln jedes trockenen Fliegenflügels oder das Kauen einer Wespe hörte, die irgendwo ungesehen an einem vermoderten Stück Holz nagte. Ich atmete tief ein, roch die Erde, Bärlauch, Kräuter, schwebende Pollen und den Duft der salzigen Seeluft. Ein Sinnenschmaus. Die winzigsten Details wurden glasklar: das Rippengefüge eines kleinen welken Blattes, das seit dem Winter unberührt geblieben war, das Beben eines einsamen wilden Grashalms, während andere ringsherum reglos blieben. […] Ein einzelner Schweißtropfen rann an meiner linken Schläfe herab. Ich fühlte mich lebendig. Herrlich, irrsinnig lebendig. Es fühlte sich an wie Stunden, aber vielleicht waren es in Wahrheit nur Sekunden, in denen die Zeit stillzustehen schien, der Augenblick erstarrt, bis ich endlich aufstand und mir von den Sinneseindrücken schwindelig wurde. […] Ich […] befand mich unversehens auf einer sehr viel flacheren Weide, die einen weiten Blick über das stetig abfallende Land bot. Hier, endlich, war das Meer in seiner ganzen Weite zu sehen. Am hinteren Ende der Weide hob ein Pferd mit dicken Fesseln für einen Moment seinen Kopf und rupfte dann weiter Gras. Seine flache Silhouette von der unermesslichen Wasserfläche umrahmt. Das Pferd schien zwischen dem blauen und grünen Streifen aus Himmel, Meer und Weide zu schweben. […] ich ließ mich von Zeit und Landschaft umfangen, vom Summen der Insekten und dem ausklingenden Vogelgesang in der Nähe, der letzten Untermalung einer Nachmittagsträumerei von solcher Kraft und Wirkmächtigkeit, dass sie vielleicht mein ganzes Leben unmerklich in eine andere Richtung lenkte.“
Robert Appleyard in The Offing von Benjamin Myers (2019)
So intensiv wie der Protagonist die landschaftliche Umgebung erlebt, so vielfältig und lebendig setzen sich die Künstler:innen der Ausstellung liquid landscape mit diesem Thema auseinander. Es sind Anklänge der Romantik, des Sturm und Drang und innehaltender Beschreibungen der Grand Tour in Roberts Empfindungen zu erkennen.
In der globalen Kunst zeigt sich die Idee der Durchlässigkeit in Bezug auf den Begriff Landschaft: Wir sind von ihr umgeben, beeinflussen sie und sie wirkt auf unser Inneres wie Äußeres ein.
Zufälligkeit gepaart mit Nachlässigkeit sind im 19. Jahrhundert Kriterien für Landschaften, die von der Natur gestaltet werden.
Subjektive, innere Landschaften ergründen Künstler:innen seit dem frühen 20. Jahrhundert. Den 11 Künstler:innen der Ausstellung gelingt es auf spätestens als Echo auf Edvard Munch) „die Seele“ einer Landschaft wahrzunehmen und das Konzept der kunsthistorischen Gattung zu verflüssigen.
Dieses Echo untersucht Sven Johne in seiner intensiven Videoarbeit Vom Verschwinden (2022), in der eine Rügener Landschaft mit einschneidenden Erlebnissen mehrerer Generationen verknüpft wird. Marie Alys großformatige Wandmalerei im Außenbereich begrüßt das Publikum mit einer surrealen Landschaft. Farben wie aus einem Traum: Ein sattes Hellgrün, ein grünstichiges Gelb leuchten von Weitem. Das Spiel mit dem Naiven verweist auf den Autodidakten Niko Pirosmani (Nikolej Pirosmanaschwili) der wie Marie Aly eindringliche Szenen schafft: Deutet der Ring mit dem Piece-Symbol darauf hin, dass der Vogel in die Freiheit entlassen wird? Gudny Gudmunsdotttír widmet sich in ihren leichtfüßigen/händigen Malereien, die scheinbar provisorisch gehängt wurden – als würden sie gleich weiterfliegen – der Landschaft im Bild der Mona Lisa. Bereits Leonardo da Vinci stellt sich die Frage nach dem Naturstudium oder einer imaginierten Landschaft. Interessanterweise entdeckt er das Phänomen der Luftperspektive als erster. Eine andere Art der Illusion erfindet Helene Appel, indem sie ein Trompe-l’oeil eines Ahornbaums aus dem nahegelegenen Humboldthain konzipiert. Mathias Deutsch nennt seine Malereien lapidar Brushcleaning Landscapes. Dieser Titel verweist auf aleatorische Techniken, wie die Monotypie und das fantasievolle Herausschälen von imaginären Landschaften. Anke Völks Arbeitsweise changiert ebenfalls zwischen dem Abstrakten und Figurativen, aber integriert mehrere Bildebenen und Medien in ihre Arbeit: Tapeten, Gemälde auf Leinwand wie Fotografie. Diese ortsspezifisch angelegte Arbeit bringt den Raum zum Leuchten. Paula Oltmann erfindet surreale Gebilde, indem sie Aluminium, Wachsabformungen und Textil kombiniert. Verletzlich, aber dennoch erratisch behaupten sie sich im Raum. In den Fotogrammen Johanna Jaegers werden aus dem Tertiär stammende Flusskiesel mit farbigen Lichtspuren verbunden und verorten diese faszinierende Technik im Jetzt. Um in einen Dialog mit der außergewöhnlichen Architektur des Raumes und des brutalistischen Gebäudes zu treten, nutzt Almut Hilf die Technik der Fotocollage von architektonisch konstruierten Landschaften. Die Fotografien von Martin Zellerhoff verunsichern zum einen durch ihre Farblosigkeit in Verbindung mit dem Thema des Natürlichen, zum anderen durch die enge Kadrierung. Die Schräglage der Bäume lässt die Betrachtenden schwanken (der Schwindel bei Edmund Burke), was bereits ein Hinweis auf das Sujet der Wahrnehmung und der Untersuchung des Mediums der Fotografie an sich ist. Katharina Kiebacher verbindet die beiden Gattungen Keramik und Fotografie und entwickelt raumgreifende Objekte, die eine neues Gewächs für ein Raum-Interieur sein können.
Julia Wirxel